Andrea Vogel ist unterwegs
Jenseits ihres Ateliers erforscht die Künstlerin die Atmosphäre von Räumen und Orten und filtert deren Besonderheiten heraus. Mit ihren Werken reagiert sie auf vorgefundene Stimmungen, Gegenstände oder auch auf Hindernisse. Zufällig Aufgespürtes entwickelt sie in ihren Arbeiten weiter. Bekannten Dingen verleiht sie neue Bedeutung. So werden mit ‹Rosarock› ausgediente Marmeladengläser luftgefüllt zu Schwimmblasen. Einem alten Bilderrahmen entwachsen schwarze, dicht übereinander hängende Fransen, so wird er zum Porträt eines artifiziellen Schopfes.
Oft arbeitet Vogel dabei mit Gegensätzen, tauscht Fülle gegen Leere, Zwei- gegen Dreidimensionalität oder spielt mit den Grössenverhältnissen wie in ihrer Arbeit ‹Textile Installation, eines auf 250% vergrösserter Wäschetrockners aus Stahl›.
Andrea Vogel verwandelt, transformiert. Sie entwickelt aus dem Aneignungsprozess heraus dauerhafte Objekte, temporäre Installationen oder Performances. Eine grosse Rolle spielt dabei immer wieder das Textile. Andrea Vogel setzt sich mit der Welt der Mode ebenso auseinander wie mit zeitgenössischen textilen Materialien und den Möglichkeiten durch Schnitt und Stoff eines Kleidungsstückes gesellschaftliche Aussagen zu treffen oder die Trägerin in diesem Sinne zu verwandeln. Stoff besitzt dabei skulpturale Qualitäten, wird aber immer wieder auch in seiner Funktion als Farbträger wahrgenommen. Wenn Andrea Vogel etwa ein weisses Kleid trägt und es im Rahmen einer Performance mit ausfliessender blauer oder pinkfarbener Tinktur benetzt, so wird nicht nur das zuvor makellose Stück fleckig, sondern die Künstlerin wird selbst zur Leinwand einer zufallsdominierten Malerei. In der Performance ‹Laufsteg› beschreitet Andrea Vogel mit einem eng geschnittenen weissen Kleid und in Stilettos einen Parcours aus Altreifen, Brettern und sonstigen Fundstücken in einer alten Fabrikhalle: ‹Laufsteg› ist ein Balanceakt nicht nur im wörtlichen Sinne.
Die Künstlerin lotet auch die Grenzen zwischen Anmut und Stolpern, zwischen Schönheit und Gefahr aus. Auch das Vergängliche spielt eine wichtige Rolle in Andrea Vogels Werk. So hat sie für ihre Installation ‹Stäubungen› Mehl auf den grauen Boden des ehemaligen Ausstellungsraumes exex in St.Gallen gestäubt. Muster und Konturen gleichen denjenigen zarter Stickereien und betonen deren ephemeren Charakter. Vergänglich sind auch die zahlreichen Arbeiten der Künstlerin mit Wasser. Es ist ein wiederkehrendes Element, dass sehr unterschiedlich genutzt wird. Andrea Vogel schätzt insbesondere die performativen Qualitäten des Wassers, seine Dynamik, Kraft und stoffliche Eigenart.
Diesen Ansatz nimmt Andrea Vogel in ihrer jüngsten Performance „Sculpture Massage“ ( #01/14.09. 2014 /Die Schwebende, 1955 Hermann Haller, Seepark Rorschach, Schweiz)
wieder auf. Sie massiert eine weibliche Bronzefigur im öffentlichen Raum und nimmt damit das Körperliche der Plastik wörtlich, lenkt die Aufmerksamkeit auf deren Nacktheit und hinterfragt die Rolle der zeitgenössischen Kunstschaffenden im Umgang mit der Präsenz der Werke früherer Künstlergenerationen. Einmal mehr erweist sich Andrea Vogels Arbeit als spielerisch, mehrdeutig und hintersinnig.
Kristin Schmidt, Dr.phil. Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin, St.Gallen